Lösungen für die EU-Taxonomie in der Schweizer Bauwirtschaft

Lösungen für die EU-Taxonomie in der Bauwirtschaft: CO2-freier Beton und Software für die ökologisch-ökonomische Gesamtbilanzierung

 

Ökologisches Bauen ist nicht mehr nur ein „nice to have“, sondern immer stärker auch ein knallharter Wettbewerbs- und Kostenfaktor. Und dafür sind nicht allein die vielfältigen Förderungen für energieeffiziente Gebäude verantwortlich. Auch die neue EU-Taxonomie wirft bereits ihre ersten Schatten auf die Schweizer Bauwirtschaft voraus. Als erstes spüren dies die international tätigen Schweizer Baufirmen sowie die im Grenzgebiet ansässigen Bauunternehmen mit grenzübergreifenden Kooperationen und Lieferketten. Ob die EU-Taxonomie tatsächlich von der Schweiz übernommen wird, ist zwar noch unklar. Dennoch wird die Ökobilanz von Gebäuden und beim Bauen auch hierzulande immer wichtiger. Da kommen zwei helfende Innovationen gerade recht: CO2-freier Beton von der Schweizer Empa und eine Software-Suite, die erstmals eine differenzierte Ökobilanz mit der wirtschaftliche Gesamtrechnung von Gebäuden in einem umfassenden Bewertungsmodell effizient zusammenführt.

 

 


Die EU-Taxonomie gilt (noch) nicht in der Schweiz


Die seit 2020 geltende „EU-Taxonomie“ ist ein Klassifizierungssystem, das einheitliche und transparente Kriterien für eine Bewertung nachhaltiger Investitionen liefern soll. Damit soll gewährleistet werden, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten zur Erreichung der Klimaziele der EU beitragen und diese nicht wesentlich beeinträchtigen sowie ein Greenwashing vermieden werden. Der Bundesrat kam zwar im Juni 2020 zu dem Ergebnis, dass es aktuell keinen Regulierungsbedarf für eine staatliche „Schweizer Taxonomie“ gebe. Die künftigen Entwicklungen würden jedoch eng verfolgt und in die weiteren Vertiefungsarbeiten mit einbezogen. Derzeit prüft der Bundesrat erneut, wie die EU-Taxonomie-Verordnung in das Schweizer Recht überführt und an den Schweizer Kontext angepasst werden kann. Die sechs wesentlichen Umwelt- und Klimaschutzziele der EU-Taxonomie sind:

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  6. Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme



CO2-freier Beton von der Empa – ökologisches Bauen Made in Swiss


Zement ist mit über 4,6 Mrd. Tonnen der weltweit am meisten verwendete Baustoff. Das reicht für insgesamt rund zwölf Kubikkilometer Beton. Bei der bislang üblichen Herstellung aus gebranntem Kalk werden jedoch zwangsläufig grosse Mengen des im Kalkstein (Calciumcarbonat, CaCO3) gebundenen Kohlendioxids (CO2) freigesetzt. Pro Tonne Zement sind das 700 Kilogramm CO2. Dadurch ist die Zementindustrie allein mit fast 2,8 Mrd. Tonnen CO2 für rund 8% der weltweiten CO2-Treibhausgasemissionen verantwortlich – mehr als der Flugverkehr und Rechenzentren zusammengerechnet.

Eine Lösung für dieses Problem wird seit einigen Jahren an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) an der ETH Zürich entwickelt. Der Schlüssel liegt in einem Ersatz des Kalksteins durch Magnesiumcarbonate als Bindemittel. Die Magnesiumcarbonate kommen z.B. als Magnesit (Bitterspat) in der Natur in grossen Mengen vor, vor allem auch in der Schweiz und in Österreich. Das daraus gewonnene Magnesiumoxid kann dann mit Wasser und CO2 zu einem Zement verarbeitet werden. Dabei wird mehr CO2 gebunden als freigesetzt, was den Beton sogar zu einer echten Kohlenstoffsenke macht.

  • Auch wenn die Empa und ihr Forschungspartner, die finnische Universität Oulu, bereits viele Fortschritte auf diesem Gebiet erzielt haben. Die systematische Untersuchung der Rezepturen, Reaktionsbeschleuniger, Produktionsbedingungen (Temperatur, pH-Wert) usw. benötigen noch ein paar Jahre.
  • Die Forschungsarbeiten der Empa zu CO2-ärmeren Zement sind hingegen schon weiter vorangeschritten. Auch dies käme einer Taxonomie im Bauwesen – und damit den Investitionen in der Bauwirtschaft – sehr zugute.
  • Die Empa hat bereits 2020 einen solchen CSA-Zement aus Calciumsulfoaluminat entwickelt. Er setzt pro Tonne rund 200 Kilogramm weniger CO2 frei. Eine Reduktion um fast 30%. Das geht einerseits auf eine 200°C niedrigere Brenntemperaturen zurück sowie auch auf einen geringeren Anteil an Kalkstein in der Rohstoffmischung. Weitere gut verfügbare Zusatzstoffe wie Schlacke, Flugasche und mineralische Bauabfälle können die CO2-Menge weiter senken. Laut Empa ohne Einbussen bei der Betonqualität und zum Teil sogar mit einer besseren Dauerhaftigkeit. Weitere Informationen finden Sie im Forschungsbereich „Sustainable Built Environment“ auf www.empa.ch.
  • Welchen konkreten Einfluss alternative Lösungen dieser Art und viele weitere auf die Taxonomie-Berechnungen im grenzüberschreitenden Bauwesen haben, können Projektentwickler, Architekten, Planer, Bauträger und deren finanzierende Banken nun auch vergleichsweise einfach berechnen – mit Hilfe der neuen Software-Suite GENERIS®.



Neues Bewertungs-Tool kombiniert erstmals Ökobilanz und Betriebswirtschaft beim Hausbau


Schweizer Unternehmen der Bauwirtschaft mit Tätigkeiten oder Lieferketten ins EU-Umland können schon jetzt von einer Websoftware-Suite profitieren, die ökologische Kennzahlen für das effiziente Erstellen einer Gebäudeökobilanz mit der ökonomischen Kalkulation für Investitionen kombiniert. Die neue Software-Suite GENERIS® wurde von dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP und dessen Forschungspartner msg GillardonBSM entwickelt – die deutsche Fraunhofer-Gesellschaft ist die grösste Organisation für angewandte Forschung und Entwicklung in Europa. Mit dem neuen Web-Tool lassen sich nun Gebäudeinvestitionen effizient und systematisch auch nach den Klimaschutzrichtlinien der neuen EU-Taxonomie bewerten. Dies hat unter anderem direkten Einfluss auf die Kreditvergabeentscheidung durch Kreditinstitute, da bei nicht Taxonomie-konformen Investitionen mit Zinsaufschlägen gerechnet werden muss.

  • Die bisherigen Planungs-Tools für eine systematische Bewertung operierten getrennt voneinander, entweder nach ökologischen oder ökonomischen Gesichtspunkten. Eine systematische Gesamtschau der Ergebnisse war damit bislang nicht möglich.
  • Das neue Web-Tool kombiniert nun erstmals eine differenzierte Ökobilanz mit der wirtschaftlichen Gesamtrechnung von Gebäuden zu einem umfassenden Bewertungsmodell für Investitionen in die Bauwirtschaft und Immobilienbranche.
  • Von dem umfassenden Bewertungsmodell inklusive Risikoabschätzung für die unterschiedlichsten Gebäudetypen profitieren vor allem Projektentwicklungsgesellschaften, Bauträger und Kreditinstitute, die Gebäude als Sicherheit bei der Kreditvergabe verwenden. Aber auch Architekten und Bauherren können mit dem Tool schon frühzeitig in der Planungsphase die Umwelteffekte einzelner Baustoffe ermitteln und die Auswahl entsprechend optimieren. Der Prototyp der neuen Web-Suite ist bereits unter www.generis.live nutzbar.